Zurück in die Zukunft!

Bbr. Marek Bonk, Pastoralreferent im Seelsorgebereich Coburg Stadt und Land, macht sich Gedanken über Herausforderungen und Chancen, die die Pandemie in Verbindung und Kirche gleichermaßen bringt:

Virtus, Scientia, Amicitia – das sind die drei Grundprinzipien eines jeden Gothen. Sie definieren das Verbindungsleben und zeigen somit auf, in welchen unterschiedlichen Bereichen, auf welche Art und Weise sich unser Lebensbund entfalten soll. Konkrete Beispiele werden jedem Bundesbruder bekannt sein.

Martyria, Leiturgia, Diakonia – diese drei Grundvollzüge kennzeichnen in gleicher Weise das Wesen und das Handeln der Kirche.

Im Folgenden möchte ich diese Triaden als Vergleichslinien benutzen, entlang derer die Folgen und Chancen der Coronakrise für die Kirche deutlich zu machen sind.
Unsere liebe Gothia war und ist wie die Kirche seit vergangenem März und auch weiterhin mit der Frage konfrontiert, wie sie die genannten Prinzipien verwirklichen kann. Die Versammlungsräume, das Gothenhaus bzw. der Kirchenraum, waren und sind teils bis heute nicht in alter Weise nutzbar. Das Fundament des gothischen als auch des kirchlichen Lebens – es scheint zunächst, bildhaft ausgedrückt, in sandigem Boden zu versinken.
Bevor ich mich den Herausforderungen der Gegenwart widme, möchte ich zunächst die Wesensmerkmale des Lebensbundes „Kirche“ erläutern.

Martyria: Die Kirche als Gemeinschaft aller Christgläubigen hat den Auftrag Zeugnis zu geben. Dies kann sich bspw. auf die Verkündigung des Evangeliums beziehen. Doch dabei geht es nicht nur um ein verbales Bekenntnis innerhalb des Gottesdienstes. Am eigenen Leben, in Wort und Tat eines jeden Christen, soll die Botschaft Jesu Christi dem Gegenüber erfahrbar werden.

Leiturgia: Jesus Christus hat bei seinem letzten Abendmahl seinen Jüngern den Auftrag gegeben: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sollen in Gemeinschaft zusammenkommen. Besonders in der Feier der Eucharistie erfüllt die Kirche diese Kernaufgabe in vollkommener Weise. Im Versammeltsein um den Tisch des HERRN wird Christi Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen real gegenwärtig. Christen sind gerufen sich von IHM, der in Mitten der Gemeinschaft präsent wird, für ihr Leben zu stärken.

Diakonia: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Der praktische Dienst am Nächsten zeigt letztendlich auf, ob das empfangene WORT wahrhaftig in der Kirche, in einem selbst, Fleisch geworden ist. Bleibt es nur bei frommen Sprüchen – oder wird die „Frohe Botschaft“ auch ganz konkret für mein Gegenüber spürbar? In der Hinwendung zu meinem Mitmenschen zeigt sich, ob mein eigenes Zeugnis letztendlich authentisch ist oder nicht.

Diese Ausführungen zu den Grundvollzügen der Kirche sind bewusst kurz und keineswegs erschöpfend. Sie sollen lediglich ansatzweise aufzeigen, was sich hinter dem „KIRCHE-SEIN“ verbirgt. Die drei Grundprinzipien sind miteinander verwoben, hängen zusammen, bedingen einander. Dabei wird deutlich, dass Kirche keine rein individuelle Angelegenheit ist. Die Gemeinschaft, die koinonia, ist in allen drei Kernbereichen der Kirche nicht wegzudenken. Aus diesem Grund möchte ich „Gemeinschaft“ an dieser Stelle als Fundament der drei Grundvollzüge benennen.
Doch was geschieht, wenn das Erfahren der Gemeinschaft von jetzt auf dann nicht mehr in gewohnter Weise möglich ist?

So, wie das Verbindungsprogramm des Sommersemesters ausgesetzt werden musste, so wurde das klassische, traditionelle Kirchenprogramm ebenso abgesagt. Von jetzt auf dann konnte bspw. keinerlei Versammlung zu Gottesdiensten mehr stattfinden. Krankenbesuche wurden abgesagt, Erstkommunion- und Firmkatechesen ausgesetzt, Jugendtreffs geschlossen. Der Kontakt der Seelsorgerinnen und Seelsorger zur Außenwelt schien zunächst ein unüberwindbarer Graben zu sein.

In diesem Zusammenhang wurden sodann vielerorts Existenzfragen laut: Kann die Kirche noch Kirche sein? Ist sie unter diesen Vorgaben überhaupt noch lebensfähig? Wie kann sie unter den gegebenen Umständen ihre Grundvollzüge ausüben, wenn doch auf den ersten Blick nicht mal eine persönliche Begegnung möglich ist?

Eine einfache, zufriedenstellende Lösung, die gab und gibt es bis heute nicht – weder für diejenigen, die versuchen ein „normales“ Semesterprogramm auf die Beine zu stellen, noch für die Verantwortlichen in der Kirche.

Dennoch darf sich weder unsere liebe Gothia noch die Kirche von der gegenwärtigen Situation geschlagen geben. In Zeiten, in denen ein Bund bzw. eine weltweite Glaubensgemeinschaft in ihrer Substanz, d. h. in der Erfahrung von Gemeinschaft, beeinträchtigt ist, gilt es nicht zu resignieren, sondern kreativ zu denken.

Wie kann denn „Koinonia“ (Gemeinschaft) auch außerhalb der Rottendorfer Straße 26 in anderen Formen realisiert werden? Diese Frage hat auch durchaus nach der Pandemie eine Relevanz.

Wie können Christen abseits des Kirchenbaus Gemeinschaft leben – Kirche leben? Auch diese Gedankenanregung soll nicht nur auf „Corona-Zeiten“ abzielen.

In den vergangenen Monaten haben zahlreiche Pfarrgemeinden Vieles ausprobiert, um die kirchlichen Grundvollzüge trotz aller Beschränkungen praktisch zu realisieren.

Nur beispielhaft möchte ich einige Punkte aus meiner bisherigen Einsatzstelle im Seelsorgebereich Main-Itz benennen.
Da persönliche Kontakte nicht bzw. nur eingeschränkt möglich waren, haben wir uns im Pastoralteam entschieden eine zusätzliche Seelsorgenummer einzurichten, die tagtäglich erreichbar ist. Als Kommunikationskanal wurde nicht nur das Internet verwendet, sondern auch das kommunale Amtsblatt und Faltblätter, die an alle Haushalte verteilt worden sind.

Um sich als örtliche Gebetsgemeinschaft außerhalb der Kirche im Gebet zu vereinen, wurden um 20:00 Uhr, eine Stunde nach dem „Engel des Herrn“, abermals die Glocken geläutet. Die Gläubigen wurden dazu eingeladen ein hierzu verfasstes Gebet zu sprechen – im Bewusstsein, dass die ganze Pfarrei in diesem Augenblick miteinander im Gebet und im Geist verbunden ist.

Es war dem Team zudem ein großes Anliegen weiterhin den Kirchenraum mit Leben zu füllen. So wurde der Altarraum immer wieder passend zur jeweiligen liturgischen Zeit neugestaltet. Das Gotteshaus sollte auch in dieser Zeit ein geöffneter und durchbeteter Raum bleiben. Die Kar- und Ostertage standen hierbei ganz besonders im Fokus: der Gründonnerstag als Tag der eucharistischen Anbetung; der Karfreitag als Tag der Kreuzverehrung; der Ostermorgen als Tag des Lichts.

Die Seelsorgerinnen und Seelsorger haben in diesen Monaten spirituelle Gedanken verfasst, die teilweise als Video online veröffentlich worden sind.
Doch nicht nur Hauptamtliche gestalteten kirchliches Leben auf neuen, unbekannten Wegen. Eine große Anzahl an Jugendlichen beteiligte sich an einem Video-Projekt, bei dem zahlreiche Clips zu einem Gottesdienstfilm zusammengeschnitten wurden.

Obwohl diese Liste noch weitergeführt werden könnte, wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass es trotz aller Vorgaben und Beschränkungen Wege gibt, die Grundvollzüge der Kirche in anderen Formen auszuüben. Es bedarf lediglich eines Umdenkens. Das Gewohnte, Altbewährte muss zum Teil abgelegt werden – es gilt eine neue Perspektive einzunehmen. Die äußeren Gegebenheiten sind nun nicht mehr nur Feinde meines Fundaments. Vielleicht ist durch eine neue Sichtweise auch ein neues Leben der Gemeinschaft möglich – vielleicht anders als zuvor, vielleicht sogar intensiver. Hierbei kann natürlich nicht von der Hand gewiesen werden, dass trotz aller positiven Ansätze die personale Begegnung fehlt. Dieser Grundstein kann wohl in seiner Gänze nicht ersetzt werden.
Dennoch gilt es sich in den kommenden Wochen und Monaten mit der Frage auseinanderzusetzen: Was wollen wir als Kirche? Sehnen wir uns zurück nach dem, was vor einem Jahr Alltag war? Wollen wir zurück in das Vergangene? Dabei muss jedoch kritisch hinterfragt werden, ob dies jedoch überhaupt erstrebenswert ist.

Oder können wir aus der Krise lernen? Chancen, neue Wege entdecken? Ein erster Schritt ist die Klärung der Grundvollzüge: Wie können Martyria, Leiturgia und Diakonia in unserer Welt konkret, fruchtbar in die Praxis umgesetzt werden? Wie können diese Relevanz für das Leben der Menschen im 3. Jahrtausend erhalten? Welche Wege sind adäquat für unsere Zeit? An dieser Stelle muss auch die Frage nach der Gemeinschaft in den Blick genommen werden: Welche Formen sind hier denkbar?

Diese Gedanken gelten zunächst der Kirche. Eine Übertagung auf unsere Verbindung ist eins zu eins natürlich nicht möglich. Dennoch haben auch wir den Auftrag uns immer wieder neu mit dem Inhalt unserer Grundprinzipien tiefergehend auseinanderzusetzen. Können wir als Gothenfamilie diese herausfordernden Zeiten auch als Chance wahrnehmen, um hinter Altgewohntem Neues zu entdecken, damit Virtus, Scientia und Amiticia auch in den kommenden Jahrzehnten innerhalb Gothias Reihen florieren können?

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