Mit dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Sturz des Kaiserreichs vor 100 Jahren 1918 jährt sich auch die letzte Rede eines elsässischen Abgeordneten im kaiserlichen Reichstag zu Berlin, gehalten von Bbr. Dr. theol. Franz-Xaver Haegy, unserem Mitgründer, am Freitag 25. Oktober 1918. Ein Anlass, sich an ihn und diesen dramatischen Moment wenige Tage vor der Revolution am 9. November 1918 kurz zu erinnern. Auch heute noch wird Bbr. Haegy im Elsass als unablässiger Kämpfer für politische und kulturelle Eigenständigkeit verehrt und geschätzt. Viele Quellen zu seinem Leben liegen allerdings nur auf französisch vor [1-3].
Franz-Xaver wurde am 2. Dezember 1870 in Hirsingen, jetzt Hirsingue (Elsass) geboren. Die Eltern betrieben eine Landwirtschaft. Nach seiner Ausbildung im Straßburger Priesterseminar von 1887-1892 und dem weiterführenden Theologiestudium in München von 1892-1893 wechselte er 1893 an die Universität Würzburg, um bei dem berühmten katholischen Theologieprofessor Heinrich Schell weiter zu studieren. Dieser publizierte gerade seine viel beachteten dogmatischen Thesen. In Würzburg promovierte Bbr. Haegy auch 1896 zum Dr. theol. mit einer Arbeit über „Leben, Schriften, Lehre des Methodius von Olympius“. Nur wenige Wochen nach der stürmischen Gründung unserer Gothia am 19. Juni 1895 wurde Haegy dann am 10. August zum Priester geweiht. Nach der römischen Indexierung der für die damalige Zeit zu modernistisch geltenden Schriften seines Lehrers Schells war ihm allerdings eine weitere akademische Karriere verwehrt.
Haegy wandte sich daraufhin dem katholischen Journalismus zu, seiner Leidenschaft bis zum Lebensende, sowie der Thematisierung dringlicher sozialer Fragen seiner Zeit. Die im Zuge der Industrialisierung überall neu entstandene Arbeiterschaft verlangte auch aus katholischer Sicht eine Antwort. Haegy widmet sich dieser Aufgabe in Seminaren, Reden und Schriften. Seit 1897 ist er Chefredakteur der täglich erscheinenden katholischen „Oberelsässischen Landeszeitung“ und schließlich ab 1900 bis zu seinem Tod 1932 des Elsässer Kurier. Im Jahr 1918 wird er zudem Direktor eines der größten Elsässer Verlagshäuser, der „“ociété d‘Edition Alsatia“, das insgesamt sechs Tageszeitungen sowie weitere Publikationen herausgibt. Damit steht er auch im Zentrum des politischen Tagesgeschehens seiner Heimat, das er mit hörbarer Stimme von nun an bis zu seinem Tod streitbar begleiten wird.
So propagiert er mit anderen gegen massive preußische und andere Widerstände die politische Emanzipierung des „Reichslandes“ Elsass-Lothringen als gleichberechtigter Bundesstaat mit eigenem Landtag, der schließlich 1911 eingerichtet wird. Das langjährige „preußische Obrigkeitsregime“ wird vielfach als demütigend empfunden. Dabei bildet sich in dieser Zeit auch ein neues Selbstbewusstsein der politischen und kulturellen Eigenständigkeit der Elsässer heraus, für die Haegy auch nach der Wiederangliederung an Frankreich als Verfechter des selbstbestimmten Regionalismus und Autonomismus unablässig weiter kämpfen wird. Seit 1912 Abgeordneter im Berliner Reichstag, tritt Haegy dort mit Vehemenz für die Interessen seiner Heimat ein und kämpft zugleich am Vorabend des 1. Weltkrieges mit Dr. E. Ricklin, dem elsässischen Landtagspräsidenten und Mitabgeordneten im Reichstag, für Pazifismus und Antimilitarismus.
Nach Kriegsausbruch versucht der allmächtige Generalstab die unbeliebten und politisch gefährlichen kritischen Stimmen wie die von Haegy mundtot zu machen. So erhielt der damals schon über Vierzigjährige 1916 als Reichstagsabgeordneter verfassungswidrig noch während einer Sitzung die Einberufung zum Militär, der er trotz Protesten Folge leisten musste sowie eine Androhung von militärischer „Schutzhaft“. Der linksgerichtete USPD-Abgeordnete Dittmann wird ihn später im Reichstag wegen dieser und anderer Schikanen verbal in Schutz nehmen. Dittmann wird im Zuge der Revolution neben Friedrich Ebert dann Anfang November 1918 Mitglied der neuen provisorischen Reichsregierung. Haegy selbst mahnt unter anderem das Schicksal von Karl Liebknecht an.
Schon zu Beginn 1918 hatte US-Präsident Wilson seinen Friedensplan basierend auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker vorgelegt, der allerdings die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich vorsah. Als im Herbst 1918 der militärische und politische Zusammenbruch des Kaiserreichs absehbar wird, ergreift Bbr. Haegy am 25. Oktober 1918 im Reichstag ein letztes Mal vor der Revolution für das Elsass das Wort zu einer verbitterten politischen Abrechnung und um die Selbstbestimmungsrechte seiner Heimat anzumahnen: „Die Verweigerung jeder Autonomie, jeder Selbstregierung, ein Beamtenregiment, ein Obrigkeitsregiment. Was man heute im Reiche abschaffen will, das haben wir 45 Jahre lang erduldet, …ausgeübt … von einem Beamtentum, das nicht dem Lande entnommen, das dem Volke und Lande fremd war und der großen Mehrheit der Bevölkerung auch in der Konfession fremd war.“ Haegy und seine Kollegen trügen die Hoffnung „…, daß … auf dem Friedenskongreß dem von einem sehr großen Teil der elsässisch-lothringischen Bevölkerung verlangten Recht, selbst ihr politisches Schicksal mit zu entscheiden, Rechnung getragen werde“ (Reichstagsprotokolle 1918, 196. Sitzung, Seite 6271ff.). Am 9. November bricht das Kaiserreich zusammen.
Die von Haegy und vielen Elsässern in Frankreich gesetzten Hoffnungen auf freiheitliche Autonomie sowie Respekt der elsässischen Kultur und Sprache und der religiösen Traditionen werden jedoch durch die französische Assimilationspolitik ebenfalls herb enttäuscht. Haegy wird mit seinen Mitstreitern auch gegen diese den Rest seines Lebens kämpfen.
Bundesbrüder haben vor einigen Jahren sein Grab besucht und darüber in der Gothia berichtet.
Quellen (Auswahl):
- Christian Baechler, Le Parti catholique alsacien. Association des publications près les Universités de Strasbourg, S. 591-594.
- Webseite Gemeinde Hirsingue (F): http://hirsingue.patrimoine.free.fr/p2_4_hist.htm
- Unser Land : Hirsingue – Histoire – La mémoire oubliée du sulfureux abbé Haegy. https://www.unserland.org/dna-du-16062012-la-memoire-oubliee-du-sulfureux-abbe-haegy
Autor: Jürgen Bohlender GW!