Kastensystem in Indien – Schicksal oder Zuordnung?
Vortrag von Pater Casimir OCD am 12.06.2019 auf dem Gothenhaus
Am 12.06.2019 hatten wir Pater Casimir OCD aus Indien auf das Gothenhaus eingeladen, damit er uns ein wenig in die Tiefen des Kastensystems einführe.
Pater Casimir kam 2016 aus dem Piemont nach Deutschland. Zuvor war er nach seinem Studium der Theologie in Rom in verschiedenen Pfarreien in Italien tätig. Er gehört dem Orden der unbeschuhten Karmeliten in Tamil Nadu (Südindien) an.
Hier in Deutschland ist er, nachdem er die deutsche Sprache erlernt hatte, seit 2017 als Kaplan in Dillingen (Saar) im Rahmen eines Aushilfe-Programms zwischen dem Orden und dem Bistum Trier tätig.
Zu Beginn stellte Pater Casimir die Grundsätze des indischen Kastensystems vor: Dieses ist grundsätzlich unterteilt in vier Kasten, sogenannte Varna. Jeder Kaste ist dabei eine Farbe zugeordnet. Innerhalb der Kasten existieren 2000-3000 Unterkasten, sogenannte Jati. Die Einteilung erfolgt mit der Geburt in die Kaste der Eltern und richtet sich nach dem Karma, also der Summe der Taten früherer Leben. Neben den vier Kasten existiert noch die Gruppe der Kastenlosen, der sogenannte „Unberührbaren“ bzw. „Dalit“. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus Nachfahren der indischen Ureinwohner, die sich seit der Einwanderung arischer Stämme aus dem heutigen Iran um 3000 v. Chr. bis heute immer weiter in den Wald zurückziehen.
Die Zugehörigkeit zu einer Kaste bleibt bis zum Tod bestehen. Jeglicher Kontakt mit Mitgliedern anderer Kasten ist gesellschaftlich geächtet; den Kastenlosen ist teilweise sogar der Zugang zu bestimmten Gebäuden untersagt.
Nachdem er die groben Umrisse des Kastensystems vorgestellt hatte, kam Pater Casimir auf die Rolle des Christentums innerhalb der indischen Gesellschaft zu sprechen. Die Christen in Indien, die mit ca. 20 Millionen Menschen etwa 2 % der Bevölkerung stellen, bieten Glauben, Gemeinschaft und Schulbildung unabhängig von der Kastenzugehörigkeit an. Dieses Angebot wird vor allem von den Dalit angenommen. Dadurch erhalten diese vor allem Selbstbewusstsein und eine Chance, auf dem freien Arbeitsmarkt mit Angehörigen höherer Kasten zu konkurrieren. Mit dem Argument, vor allem durch die Schaffung von Chancengleichheit würden sie das indische Sozialgeflecht, das Kastensystem, untergraben, werden regelmäßig Christen in Indien verprügelt, vertrieben und getötet. Allerdings gibt es auch in der katholischen Kirche Indiens teilweise Diskriminierung zwischen den einzelnen Kasten, so zum Beispiel durch eine strenge Sitzordnung oder verschiedene Friedhöfe für verschiedene Bevölkerungsgruppen.
Zum Abschluss des Vortrags gab Pater Casimir einen kurzen Überblick über die heutige Situation in Indien. Vor allem in den größeren Städten ist heutzutage kaum erkennbar, wer von welcher Kaste stammt, man fragt aber auch niemanden danach. Dadurch ist das Kastensystem zwar etwas aufgeweicht, von der in der Verfassung festgelegten Chancengleichheit ist aber auch heute noch wenig zu spüren. Ein Großteil der Inder ist auch persönlich gegen das Kastensystem. Allerdings zwingen Ehre und Stolz jeden, sich bis zum Tod an seine Kaste zu binden. Darüber hinaus möchte niemand Konflikte zwischen Familie und Verwandten riskieren.
Ob das Kastensystem also jemals ganz aus der indischen Gesellschaft verschwinden wird, bleibt abzuwarten. Dies wird jedenfalls noch viel Zeit brauchen.
Im Anschluss konnten wir noch ein paar schöne Stunden bei interessanten Gesprächen im Garten unseres Gothenhauses verbringen. Ich darf mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Pater Casimir für den äußerst interessanten Vortrag bedanken.