Festrede: „Das Feuer der Tradition“

Festrede auf dem Stiftungsfestkommers des 4. Stiftungsfestes der ADV Vivacitas zu Vallendar am 14.11.2015 von Bbr. Michael Hieronymus:

Hohes Präsidium, liebe Farbenschwestern,
liebe Farben-, Cartell- und Bundesbrüder,
verehrte Damen und Herren,

2015 WS - Festrede Geronimozunächst will ich meiner Freude Ausdruck verleihen heute Abend vor Ihnen und Euch stehen zu dürfen. Es ist mir eine außerordentlich große und zugleich überraschende Ehre, die mir hiermit als Festredner des vierten Stiftungsfestes der ADV Vivacitas zu Vallendar zu Teil wird. Für gewöhnlich ist eine solche Einladung ein Zeichen dafür, dass man dem Kreis der Jungphilister entschwunden ist und schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht hat. Dies stellte zumindest in diesem Jahr auf unserem Stiftungsfest unser Festredner Bbr. Dr. Heiko Fischer, Vorstandsvorsitzender der VTG AG, fest. Nun die Philisterei lässt in meinem Fall hoffentlich noch ein paar Jahre auf sich warten. Allerdings was ist schon gewöhnlich bei einer erst vierjährigen Verbindung?

Gewöhnlich würde man als Festredner über ein Thema aus seinem Arbeitsleben referieren, sich einem geistreichem Gedankenspiel oder der tagesaktuellen Politik widmen. Mein Arbeitsleben ist das Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Würzburger Universität. Es wäre sicherlich anmaßend, wenn ich in den Räumen einer der weltweiten betriebswirtschaftlichen Top-Hochschulen in diesem Gebiet referieren würde. Zum einen könntet ihr mich bestimmt aus dem Stehgreif korrigieren und zum anderen würde ich euch sicherlich langweilen. Nicht zu Letzt sind Studentenverbindungen auch dazu da den Austausch zu pflegen und über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Vorträge über Porter, Keynes und Smith gibt es zur Genüge in der Universität. Nein, wenn man sich am Abend mit seiner Verbindung trifft will man wahrlich nicht mit dem Stoff konfrontiert werden, den man schon den ganzen Tag von seinen Professoren eingetrichtert bekommt.

Gewöhnlich wird man als Festredner davor gewarnt über Studentenverbindungen zu reden. Die Prinzipien, die Historie und auch der gesellschaftliche Umgang sind für gewöhnlich Kernthemen einer Fuxenerziehung und würden folglich für gewöhnlich ein hohes Potential für langatmige und uninteressante Vorträge liefern.

Nun aber was ist schon gewöhnlich bei einer so jungen Verbindung? Meine eigene Verbindung, die Gothia, hat in diesem Jahr ihr 120jähriges Bestehen gefeiert. Einige von euch waren bei den Feierlichkeiten dabei. Wir bilden unsere neuen Mitglieder mindestens ein Jahr lang aus. Sie bekommen ein über 100-Seitige Fuxenfibel, die es zu lernen gilt. Schließlich sollen unsere Tradition und das Couleurstudententum auch in den zukünftigen Generationen fortleben und nicht in Vergessenheit geraten. Nun eure Tradition und eure Geschichte seid ihr, liebe Farbenschwestern der Vivacitas, gerade dabei zu formulieren und zu schreiben. Bei euch gibt es erst wenige Standartprozesse. Ähnlich wie ein Start-Up seid ihr dabei euren eigenen Weg zu finden. Und genau aus diesem Grund habe ich meinem Vortrag, aller Gewöhnlichkeit zum Trotz, dem Thema: „Das Feuer der Tradition – Studentenverbindungen im 21. Jahrhundert“ gewidmet.

Die Tradition, dass Couleurstudententum, ist das uns alle hier heute Abend einende und verbindende Element. Doch was macht diese Tradition aus? Woher kommt sie? Und ist sie heute noch aktuell? Schließlich steht jeder Bund jedes Jahr aufs Neue vor den Fragen: Wie kann man diese Tradition an neue junge Studentinnen und Studenten vermitteln? Wie kann man sie für diese Idee begeistern und im besten Fall zum Eintritt in den eigenen Bund bewegen? Schließlich schöpft ein jeder Bund seine Kraft durch die Akkreditierung von Nachwuchs. Nur dies kann ihn dauerhaft am Leben erhalten.

Nun wahrlich machen wir es uns auch nicht sonderlich leicht bei der Mitgliedergewinnung. Im Gegensatz zu einem beliebigen Dorfverein erheben wir den Anspruch auf lebenslange Mitgliedschaft und sehen uns die potenziellen Mitglieder genau an. Man kann nicht einfach ein vorgefertigtes Formblatt ausfüllen und schon ist man ein gewöhnliches Mitglied wie jeder andere auch. Nein, es bedeutet Engagement und Einsatz einem Lebensbund treu bleiben zu dürfen. Und nicht zu vergessen hat auch die Politik für ein schwierigeres Pflaster gesorgt, indem die Wehrpflicht ausgesetzt und das Abitur nach acht Jahren eingeführt wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Erstis, bzw. hier Quietschies genannt, oftmals zwischen 17 und 18 Jahre alt sind. Jemandem mit 17 oder 18 eine Entscheidung für sein gesamtes Leben abringen zu wollen ist unvergleichlich schwieriger als bei Personen um die 20. Hinzu kommt, dass oftmals die Eltern in dem Alter noch einen großen Einfluss ausüben und es immer mehr dazu kommt, dass auch sie von der Idee des Couleurstudententums und der eigenen Verbindung überzeugt werden müssen. Freilich an dieser Stelle sind wir als Couleurstudenten, jeder einzelne von uns, gefragt unsere potenziellen Neumitglieder zu begeistern.

Doch wagen wir Mal einen kurzen Ausflug in die Geschichte, zu den Ursprüngen des Verbindungswesens: Mit dem Aufkommen der Universitäten im 11. und 12. Jahrhundert entstanden Bursenhäuser, in denen die Studenten einzogen. Der Bewohner eines Bursenhaus hieß bursarius, wodurch sich der Begriff Bursch ableitet. Nach den Bursen entstanden neue rein studentische Interessensvertretungen, diese nannten sich Nationen und Landsmannschaften. Ihre Angelegenheiten besprachen sie auf Conventen und an der Spitze stand jeweils ein gewählter Senior. Heute firmieren diese damaligen Landsmannschaften als Corps und man kann sie daran erkennen, dass sie lediglich zwei Farben führen.

Als zweite große Gattung von Studentenverbindungen entstanden die heute im öffentlichen Bewusstsein verpönten Burschenschaften. Sie entstammten aus dem, durch die Befreiungskriege gegen Napoleon, erstarkten Nationalbewusstsein. 1815 wurde in Jena die die erste Burschenschaft durch Mitglieder der dortigen Landsmannschaften gegründet. 1818 wurde auf der Wartburg die „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“ (besser bekannt als Urburschenschaft) gegründet, wobei „Burschenschaft“ als Synonym für die gesamte Studentenschaft zu verstehen sein sollte. Die Farben der Urburschenschaft waren Schwarz-Rot-Gold, woraus sich unsere deutsche Nationalflagge entwickelte.

Die historische dritte große Gattung waren die katholischen Verbindungen. Für die katholische Bevölkerung in Deutschland bildete der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 eine Zäsur. Durch ihn wurde die Säkularisierung vollzogen. Viele katholische Bildungseinrichtungen mussten geschlossen werden bzw. wurden aufgehoben und die katholische Kirche schwächelte als gesellschaftliche Kraft. Erst in den 30er Jahren erstarkte der Katholizismus wieder. Es wurden zunehmend katholische Vereine gegründet und am 15. November 1844 wurde die erste katholische Verbindung in Bonn gestiftet, die heute Mitglied im CV ist. In den Folgejahren entstanden viele weitere katholische Verbindungen und es bildeten sich drei große Verbände heraus: Der UV, CV und KV.

Allen drei beschriebenen Gattungen gingen gesellschaftliche Ereignisse voraus: Die Gründung der Universitäten, die Befreiungskriege gegen Napoleon und die Säkularisierung Deutschlands. Weiterhin kamen mit den ersten Studentinnen auch die ersten Damenverbindungen auf. Daneben gründeten sich unzählige weitere Verbindungen und es entstanden die unterschiedlichsten Verbindungsformen. Es fanden sich jeweils Studenten mit einer gleichen Interessensgrundlage zusammen und gründeten ihre eigenen Verbindungen und Dachverbände. Wir können heute eine Vielzahl von Verbänden und Verbindungen sehen. Sie reichen von schlagenden, christlichen über musikalische, sportliche, gemischte bis hin zu reinen Damen-Verbindungen. Es ist ein breites Spektrum, dass auch weiterhin Jahr für Jahr mit neuen Verbindungen bereichert wird. Ein Trend der quasi seit dem 19. Jahrhundert anhält. Sicherlich mit Ausnahme der Zeit der beiden Weltkriege und der 68er-Bewegung.

Auch wenn nach dem zweiten Weltkrieg die Verbindungswelt nur noch ein Nischendasein in der Hochschullandsschaft führt, ist sie dennoch präsent. War es früher die Ausnahme, wenn jemand keiner Verbindung angehörte ist es nun umgekehrt. Stellt sich natürlich die Frage, brauchen wir noch Verbindungen?

Was bieten Verbindungen? Sie bieten einen Anlaufpunkt für neue Studenten, die in der Regel das erste Mal fernab ihres Elternhauses wohnen. Sie kommen in eine neue fremde Stadt, in der sie niemanden kennen. War es in längst vergangenen Zeiten so, dass man seine Kommilitonen alle beim Namen kannte, weil die Jahrgänge Klassenstärke hatten, so sind heutige Jahrgänge mit mehr als 500 Stunden eher die Regel als die Ausnahme. Schnell kann sich hier ein neuer Student überfordert fühlen und in der anonymen Masse der Matrikelnummern untergehen. Hier haben wir schon einen ersten Punkt an denen Verbindungen weiterhelfen können. Als Verbindung kann man den neuen einen Rückhalt bieten, eine Art Ersatzfamilie.

Ein weiterer Punkt sind die Begegnungen mit Studenten anderer Gesinnungen, anderer Fakultäten und auch der Meinungsaustausch auf Verbindungsebene. Man lernt verschiedenste Personen und Meinungen kennen und mit diesen umzugehen. Man erhält die Chance Freundschaften auf diesem Wege zu knüpfen und sein Allgemeinwissen zu vertiefen, sowie aus seinen Fehler zu lernen. Auch wenn hier am Ort ein fakultätsübergreifender Austausch eher weniger möglich ist, beginnt dieser spätestens mit dem Kontakt zu Verbindungen außerhalb von Vallendar.

Damit kämen wir schon zum nächsten Punkt: Nicht zu Letzt bereichert man seinen Erfahrungsschatz auch massiv durch andere Verbindungen, die man auf Reisen oder in der eigenen Universitätsstadt kennen lernt. Als Verbindungsstudent erhält man einen leichten Zugang zu diesen und man bekommt Anlaufpunkte und Kontakte in den meisten Universitätsstädten. Beispielsweise zählt selbstverständlich auch der rege Kontakt zwischen euch, der Vivacitas, und meiner lieben Gothia dazu.

Allerdings, der wohl wichtigste und entscheidendste Vorteil, ist das Lebensbundprinzip. Er komplettiert das Verbindungsnetzwerk. Dieser umgekehrte Generationenvertrag macht eine jede Verbindung aus. Man erhält einen lebenslangen Anlaufpunkt an seiner Alma Mater und darüber hinaus hat man auch fernab der eigenen Universitätsstadt stets bei seinen Bundesbrüdern, bzw. in eurem Falle Bundesschwestern, Freunde und einen willkommen Anlaufpunkt in der Ferne. Zudem gibt es Stammtische und Zirkel für Verbindungsstudenten und man hat, insbesondere im Philisterium, Zugang zu einem Verbände- und Verbindungsübergreifendem Netzwerk. Egal wo es einem nach dem Studium hin verschlägt, man kann sehr wahrscheinlich auf dieses Netzwerk an seinem neuen Heimatort zugreifen und quasi wie auch schon als Fux Anschluss finden.

Freundschaft und Basisdemokratie, die beiden unvergänglichen Grundpfeiler einer jeden Verbindung. Sie einen das gesamte Feld der Verbindungen und machen es zu einem wertvollen und lebenswerten traditionellem Netzwerk. Der Mensch ist mit Nichten ein Einzelgänger. Er sucht stets nach Freundschaften und Anerkennung. Damals, heute und auch in Zukunft werden dementsprechend wohl Verbindungen dem Zeitgeist angehören.

Passend dazu stellte Professor Walter Stielicke im, sicherlich hier weitgehend bekanntem, Münsteraner Tatort Satisfaktion fest: „Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Schauen wir daher in die Zukunft. Machen wir uns auf unermüdlich Studenten von unserer Sache zu überzeugen. Auf das unser Bund und die Verbindungslandschaft als Ganzes Wachse und Gedeihe.

Lasst uns offensiv für unsere Verbindungen werben, für unsere nicht ganz gewöhnlichen Vereine. Für unsere ungewöhnlichen und individuellen Bünde, die allesamt Unikate darstellen. Sie sorgen für die bunte, lebendige und erfahrungsreiche Verbindungswelt. Um als einzelner Bund dabei mithelfen zu können dies erfolgreich zu realisieren, ist es sicherlich ein entscheidender Punkt sich als Verbindung zu spezialisieren und zu individualisieren. Ein Profil zu bilden und dieses zu schärfen. Dadurch erreichen wir zwar nicht alle Studentinnen und Studenten als einzelner Bund, allerdings dafür unsere jeweilige Zielgruppe umso besser. Einem profillosen, beliebigen und vor allem gewöhnlichem Verein würde sicherlich kaum einer die Treue schwören. Jedoch diese „Auserwählten“ fühlen sich von dem Profil angesprochen und daher schneller und besser wohl. Nur wer sich in einer Verbindung wohl fühlt, ist auch bereit dieser die Treue zu schwören. Exakt dies wollen und brauchen wir.

Liebe Farbenschwestern der Vivacitas,
obwohl ihr die einzige Damenverbindung in Vallendar seid, habt ihr euch quasi dennoch von Anfang an spezialisiert. Ihr habt direkt angefangen, sei es bewusst oder unbewusst, ein Profil heraus zu bilden. Am besten bringt dies eure Fassung von dem Dschungelbuch-Lied „Probiert es mal mit Gemütlichkeit“, und zwar „Probiert es mal mit Vivacitas“ zum Ausdruck. Die euch prägenden Elemente, zumindest ist dies mein Eindruck, sind die Gemütlichkeit, die Offenheit und die Friedfertigkeit. Selten, zumindest ist dies mein Eindruck, sucht ihr die Konfrontation untereinander und schon gar nicht gegenüber Außenstehenden. Ihr habt euch ein Profil aufgebaut, ein Profil das nicht ganz gewöhnlich ist. Aber was ist schon gewöhnlich? Außer Langweilig!

In diesem Sinne auf viele weitere ungewöhnliche und gewöhnliche Jahre und ein beständiges Wachsen und Gedeihen: Vivat, crescat, floreat Vivacitas ad multos annos!

Auf euch: Prost!

Kommentare sind geschlossen.