„Das Phänomen der Gruppendynamik“

Fuxenvortrag am 15. Januar 2020 von Bbr. Alexander Mayr.

Da unser Scientia-Prinzip neben dem Erwerb von wissenschaftlicher Kompetenz im eigenen Studiengebiet die interdisziplinäre Weiterbildung durch den gemeinsamen Dialog fordert, können in jedem Semester zahlreiche Vorträge aus den unterschiedlichsten Fachbereichen gehört und anschließend über die vermittelten Inhalte diskutiert werden.

Einer dieser Vorträge fand am 15. Januar 2020 statt. Bundesbruder Alexander Mayr hielt an diesem Abend einen kurzweiligen Fuxenvortrag über das Phänomen der Gruppendynamik, der trotz des suboptimalen Termins inmitten der Klausurenphase zahlreiche Bundesbrüder der Aktivitas und Altherrenschaft sowie einige Gäste aufs Gothenhaus lockte. Dies war wohl nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass gruppendynamische Prozesse im Verbindungsleben eine signifikante Rolle spielen.

“Nicht ohne zuvor” begann der Vortrag einer mit einer kleinen Aufgabe für das Publikum. Aus einer Menge von drei Linien sollte beurteilt werden, welche einer vierten Referenzlinie entspricht.
Es erfolgte keine Auflösung dieser subjektiv einfach zu lösenden Aufgabe, sondern der Hinweis darauf, sich diese Linien während des Vortrages im Hinterkopf zu behalten. Danach begann der eigentliche Vortrag, bei dem zunächst die äußerst interessante Kernannahme der Gruppendynamik erläutert wurde. Dabei wird unterstellt, durch dynamische Prozesse das Verhalten und die Persönlichkeit der Gruppenmitglieder zu verändern. Dadurch kommt es zu dem Umstand, dass die Eigenschaften und Fähigkeiten der Gruppe nicht der Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten der individuellen Gruppenmitglieder entsprechen.
Anschließend informierte der Redner darüber, dass diese Divergenz wird durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren innerhalb einer Organisation (Gruppe) begründet sei. Dazu zählen laut Vortragsinhalten neben den Gründen und Phasen der Gruppenbildung auch die rangdynamischen Positionen, Funktionen und Rollen der Gruppenmitglieder, die Methoden und Eigenheiten der Gruppensozialisation sowie die Funktion der Gruppe für die Individuen. Diese Faktoren wurden im Verlauf des Vortrags umfangreich beschrieben und durch exemplarische Experimente und aussagekräftige Studien dargelegt.

Die Gründe für die Gruppenbildung sind laut herrschender Meinung die Abhängigkeit von einer Einzelperson, die Paarbildung zur Sicherung des Überlebens beziehungsweise Fortbestehens, die Paarbildung sowie Kampf und/oder Flucht gegenüber einem gemeinsamen Außenbild. Die Phasen der Gruppenbildung umfassen Forming (Orientierungsphase), Storming (Nahkampfphase), Norming (Orientierungsphase), Performing (Hochleistungsphase) und Adjourning (Anpassungs- bzw. Auflösungsphase). Die Wirkung dieser beiden Faktoren wurden durch die Beschreibung des Ferienlagerexperiments von Sherif aus dem Jahr 1934 anschaulich erläutert.

Der Faktor der Gruppenorganisation wurde durch die Beschreibung der rangdynamischen Positionen (Konstrukt G, Alpha, Beta, Gamma, Omega), Funktionen (konkrete Aufgabe) und Rollen (selbst definierte soziale Rolle) der Gruppenmitglieder erläutert und durch das prominente Gefängnisexperiment der Stanford University aus dem Jahr 1971 veranschaulicht.

Danach folgte eine Übersicht über Funktion und Wirkung der Gruppensozialisation mit den Phasen Erkundung, Eintritt beziehungsweise Initiation und Sozialisation. Dabei legte Bundesbruder Alexander Mayr besonderen Fokus auf die Beurteilung der Organisationsqualität der Individuen in Abhängigkeit der Aufwandsrechtfertigung für die Mitgliedschaft der Gruppe, welche durch ein Experiment von Arson und Mills aus dem Jahre 1959 verdeutlicht wurde.

Im weiteren Ablauf wurde die Funktion für das Individuum behandelt. Im Detail wurde die sozio-biologische Auffassung (also der adaptive Wert der Gruppe), die utilitaristische Auffassung (also der Grundsatz von Vorteilen durch Austauschprozesse, deren Effektivität in Gruppen signifikant höher ist) sowie die kognitive Auffassung (Evaluation der gefühlten Realität durch die soziale Realität in Gruppen aufgrund von Unmöglichkeit, die gefühlte Realität an der physischen Realität zu prüfen) erläutert. Um den Ansatz der kognitiven Auffassung zu veranschaulichen, zeigte der Vortragende anhand von Ergebnissen eines Experiments zum autokinetischen Effekt, dass sich Individuen Wahrnehmungsmuster zu eigen machen, die in Gruppen definiert wurden und Gruppenmitgliedschaft zudem individuelle Wahrnehmungsmuster überschreiben.

Zum Abschluss des Vortrages kamen wieder die Linien vom Beginn des Vortrages ins Spiel. Nach einer kurzen Erinnerung an die Befragung am Anfang zeigte der Redner anhand der Ergebnisse von Asch aus dem Jahr, dass Gruppenmitglieder ein starkes Verlangen der Konformität sozialer Normen aufweisen. So wichen rund 30 Prozent der in Gruppen befragten Testpersonen von der offensichtlich richtigen Antwort ab, sobald die Mehrheit der Gruppe falschen Input (im Sinne einer falschen Antwort) gegeben hatte. Dieser Effekt wird laut dem Redner durch alle im Vortrag erläuterten gruppendynamischen Prozesse ausgelöst.

Nach dem Vortrag lud der Vortragende dazu ein, offene Fragen in Bezug auf die Vortragsinhalte zu beantworten. Nachdem die aufkommenden Fragen beantwortet waren, wurde die Veranstaltung in den Keller verlegt, um der Veranstaltung einen geselligen Abschluss zu verleihen und angeregt über das Thema Gruppendynamik zu diskutieren.

Obligatorisch seien alle Bundesbrüder herzlich dazu eingeladen, die Dynamiken unserer Gruppe, unserer geliebten Gothia, auf dem Haus aktiv mitzugestalten und zu erleben.

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